DAS VANILLEKIPFERL

UMKÄMPFT UND HEISS GELIEBT Text: Michaela Peterstorfer

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Die Zutaten sind unspektakulär einfach, die Form leicht variierend, in Deutschland heißen die großen Verwandten Gipfel, in der österreichischen, alles verkleinernden Wesensart Kipferl, je kleiner, desto feiner. Über nichts wird so viel philosophiert wie über Vanillekipferl.

Weihnachten naht, und fast klingt es wie eine Drohung. Wenn in Christkindlmärkten die heuer nicht erlaubten, energiefressenden Heizschwammerl ungeheizt in den Ecken stehen, dann wird es einzig und alleine dieses spezielle Mürbteiggebäck sein, welches die Herzen der Österreicherinnen und Österreicher zu erwärmen imstande ist. Vanillekipferl spiegeln so etwas wie ein nationales Selbstbewusstsein auf Kekstellern. Ja, die Delikatesse ist urösterreichisch und strikt traditionell.

Gesetze besagen, man bäckt keine Vanillekipferl im frühen Herbst. Könnte man, ist aber verpönt. Wer sich dennoch dieser Schmach hingibt, wird im Winter, also zur Weihnachtszeit, eine ebensolche erleben. Der Gast beißt hinein in das mühevoll gebogene Ding und statt des Lobes, wie zu erwarten wäre, kommt aus angestaubten Lippen eine Feststellung. Als hätte jemand danach gefragt. „Also ich mache sie nach dem überlieferten Rezept meiner Tante, die es einem Altwiener Kochbuch entnahm, und da kommen Mandeln hinein.“

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Welche Nuss, warum Butter

Schon wird über die richtige Nuss diskutiert. Die einen nehmen Hasel-, die anderen Walnüsse und die dritten Mandeln. Butter ist ein Gesetz, Margarine eine lächerliche Variante. Manche schwören darauf, die Nüsse vorher zu rösten. Und echte Vanille, ja unbedingt, bitte, nur echte Vanille, als würde sich noch jemand hinstellen und die Schoten auskratzen. Tatsächlich spielt Vanille die Hauptrolle. 

Man isst diese Kipferl nicht einfach. Der feine Geschmack von Vanille in Mürbteig umfängt, ja umgarnt den Gaumen und löst im Gehirn das Signal aus „i wü sofort nu ans“. Der ultimative Befehl mündet im Leerfegen ganzer Keksteller. Von Heilpflanzenexperten wird die Vanille als Aphrodisiakum beschrieben, was allerdings die Bäcker von Ischler Törtchen oder Linzer Augen die Augen verdrehen lässt. Wäre das aber der Grund, warum auf freudigst präsentierten Kekstellern zuallererst die Vanillekipferl herausgefischt werden? Gut möglich.  

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Vanille erregt – und beruhigt 

Mit ihrem Duft soll die Vanille angeblich Bitterkeit aus den Herzen vertreiben. Sie enthalte zudem Pheromone, welche – na bitte – sexuelle Lust und Erregung hervorrufen. Auch bei strapazierten Nerven wirke sich die echte Vanille höchst positiv aus, nämlich beruhigend, wodurch man sie im 17. Jahrhundert sogar bei Schlafstörungen einsetzte. In der Aromatherapie wird das ätherische Öl der Vanille heute bei Angstzuständen, Schlaflosigkeit und Depressionen verordnet. 

Ob das zumeist künstlich erzeugte Vanillin dieselbe Wirkung hat? Wohl kaum. Zu erwähnen ist, dass Vanillekipferl in früheren Zeiten kein Gebäck von „Normalbürgern“ war. Vanille, ebenso wie Zucker oder Salz, wurde in Gold aufgewogen. Erst mit der Erfindung des Vanillins Ende des 19. Jahrhunderts dürfte das Vanillekipferl auch in bürgerliche Haushalte Einzug gehalten haben.

Normal ist bei den Vanillekipferln und deren Herstellung somit nichts. Der Mürbteig wird bereits am Vortag gefertigt. Am nächsten Tag verlieren Nicht-Bäckerinnen beinahe ihr Zuhause. Für viele Stunden ist der Eintritt in die Küche verboten. Übrig bleiben der Duft in allen Gängen sowie fest verschlossene Keksdosen. Übrig bleiben auch die geschlauchte Vanillekipferlbäckerin und ein Kind oder Heranwachsender, der bittend um wenigstens eines, „nur eines“ zu bekommen, schließlich mit dem Bruch abgefertigt wird. 

Die Form, ein Mythos

Was die leicht gebogene Form betrifft und woher sie stammt, ob sie even-tuell mit den in Deutschland betitelten „Gipfel“ verwandt ist und warum sie genauso auszusehen haben, darüber gibt es diverse Mythen. In Wien hält sich das Gerücht, dass das Bäckerehepaar Peter und Eva Wendler bei der zweiten Türkenbelagerung im Jahr 1683 diese Kipferl formten, um nach deren Abzug den Halbmond ins Lächerliche zu ziehen. Möglicherweise aber hatte das Bäckerehepaar die Kipferl ganz einfach nach einem Heurigenbesuch kreiert. Leicht illuminiert geraten gewisse Bäckereien eben aus der Form. Egal, Vanillekipferl sind und bleiben eine typisch österreichische Götterspeise.

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Vanille

Vanilleschoten wachsen aus den Blüten verschiedener Orchideenarten und sind – botanisch gesehen – eigentlich keine Schoten, sondern Kapselfrüchte. Für die Verarbeitung wird das aromatische Mark mit dem Messerrücken aus den Hälften herausgekratzt. Doch Vanille ist nach Safran das zweitteuerste Gewürz der Welt, der Ersatzstoff Vanillin hingegen spottbillig. Im Jahre 1874 entdeckte der deutsche Chemiker Wilhelm Haarmann ein Verfahren, durch das er Vanillin künstlich herstellen konnte. Mit Hilfe des Stoffs „Corniferins“ aus Nadelbäumen erhielt er ein ähnliches Aroma. Noch heute sind Nadelbäume eine wichtige Quelle für Vanillin.

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