Der Wolf ist zurück

Gefahr oder Bereicherung Text: Michaela Peterstorfer

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Mythen ranken sich um den Wolf. Mit keiner Wildtierart kommen so viele Urängste hoch wie mit dem grauen Gesellen, der neuerdings auch durch Oberösterreich streift und sich immer mehr dem Menschen nähert. „Wunderschöne Tiere“, sagen die einen und feiern die Rückkehr des bereits ausgestorbenen Canis Lupus wie ein Wunder, ein „Fiasko“ die anderen, die die Probleme der Alm- und Weidewirtschaft aus der Praxis kennen. Der Wolf – im Brennpunkt zwischen romantischer Betrachtung und realistischer Sorge. 

Das Burgdorfer Holz ist ein idyllisches Waldgebiet nahe Hannover. In den Teichen breiten sich Seerosen aus, die Gewässer mitten im Wald sind Nahrungsquelle für seltene Vögel wie Graureiher und Eisvogel. Ein Naturjuwel schlechthin, doch plötzlich ist es vorbei mit der Landidylle an jenem denkwürdigen Septembertag des Vorjahres 2022. 

Ein Pony der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wurde tot auf seiner Koppel im Burgdorfer Örtchen Beinhorn gefunden, gerissen von einem Wolf. Laut genetischen Untersuchungen handelte es sich bei dem Tier um ein Mitglied des berüchtigten Wolfsrudels aus der Gegend nordöstlich der niedersächsischen Landeshauptstadt.

© Johann Schnell

In Europa geschützt

Der Rüde hatte zuvor schon einige Nutztiere getötet, darunter Schafe, Rinder, Pferde. Nun geriet das Pony zum prominentesten Opfer eines Wolfes, jener Wildtiergattung, die gemäß der FFH-Richtlinie in Europa streng geschützt ist (siehe Kasten). „Wir sind fürchterlich mitgenommen“, erklärte Ursula von der Leyen gegenüber der Presse und kündigte an, den aktuellen Schutzstatus der Wölfe überprüfen zu lassen. 

Berichte rund um den „Ponykiller“ rauschten durch die Boulevardmedien – und schon war sie wieder da, die Urangst des Menschen vor dem Wolf, der um die Häuser schleicht. Jenes blutrünstige Monster, das im Märchen der Gebrüder Grimm die Großmutter verschlang. 

Rotkäppchen reloaded. Die Ausrottung des Canis Lupus (lat.) auf österreichischem Boden geschah Mitte des 19. Jahrhunderts, doch mit seiner Wiederkehr wächst das mulmige Gefühl bei vielen Menschen in Oberösterreich, die in den vergangenen Wochen Wolfssichtungen in der Nähe von Siedlungsgebieten fotografisch festhielten. Ins Netz gestellt, sind die Reaktionen immer gleich. Von „wunderschönen Geschöpfen“ ist die Rede. Die mit Wolfrissen konfrontierten Almbauern können da nur den Kopf schütteln.   

Über allem aber steht die Frage: Ist der Wolf für den Menschen gefährlich? Der Umweltverband WWF verneint heftig und nennt es einen Mythos: „Die Gefahr, in Österreich von einem Wolf angegriffen zu werden, liegt nahezu bei null. Unser Land hat eine der höchsten Schalenwild-Dichten Europas und der Wolf findet genügend natürliche Beute vor.“ 

In seiner Publikation „Er ist da. Der Wolf kehrt zurück“ nimmt der Wildtierexperte und Institutsleiter der BOKU Wien, Klaus Hackländer, das Thema wissenschaftlich fundiert unter die Lupe. Wie kann man den Wolf in die bestehenden Lebensräume eingliedern, ohne dass er Schaden nimmt und Schaden zufügt? Der Autor geht aber auch folgenden Fragen nach: Ist der Wolf noch eine gefährdete Art? Und wie zeitgemäß ist die FFH-Richtlinie?


Infobox

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Seit wann ist der Wolf ausgestorben? 

Der Wolf wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Gebiet des heutigen Österreichs ausgerottet: Im Wienerwald wurde der letzte lebende Wolf 1846 erlegt, im Hausruckviertel gab es bis ca. 1870 Wölfe.

Wie kam der Wolf zurück nach Mitteleuropa? 

Die Rückkehr ist ein Resultat des Artenschutzes, aber nicht nur. Eine mächtige, gegen Menschen gerichtete Grenzbefestigung verhinderte über ein halbes Jahrhundert, dass Wölfe aus dem Osten nach Mitteleuropa kommen konnten. Mit der Öffnung des Eisernen Vorhangs 1989 hat sich das geändert. 

Wovon ernähren sich Wölfe? 

Wölfe sind Fleisch- und Aasfresser. Sie sind auf die Jagd von Schalenwild, das sind Klauentiere, spezialisiert. Junge, alte oder kranke Tiere werden als Beute bevorzugt. In Österreich ernähren sich Wölfe zu rund 80 bis 90 Prozent von Rotwild und Rehen.

Warum gibt es immer wieder „Überfälle“ auf Schafsherden? 

Hausschafe sind für den Wolf ungewöhnlich wehrlose Beutetiere, denn anders als Wildtiere haben sie keine funktionierende Flucht- oder Verteidigungsstrategie.

Wie lässt sich bei Rissen feststellen, um welchen „Täter“ es sich handelt? 

In jedem Bundesland sind Wolfsbeauftragte damit beauftragt, Kadaver und verletzte Tiere zu sichten. Mittels Wattestäbchen werden DNA-Proben aus den blutigen Wunden entnommen. Dadurch lassen sich u.a. benachbarte Wolfsrudel voneinander abgrenzen oder auch die Zuwanderung von Wölfen bestätigen.


Population wächst

Schätzungen zufolge gibt es in Kontinentaleuropa bis zu 18.000 Wölfe, davon befinden sich 15.000 auf dem Gebiet der EU. Im gesamten Alpenraum sollen sich zwischen 250 und 300 Wolfsrudel befinden. Geht man nach dem Trend der letzten Jahrzehnte, werde die Population in den Alpen rasant wachsen, berichtete der ORF. Die Neue Züricher Zeitung wird bei ihren Schätzungen schon konkreter: „In fünf Jahren dürfte der Wolf mit 800 Rudeln den gesamten Alpenraum besiedelt haben.“ Ein kluges Management helfe auch dem Wolf, denn er sei auf die Akzeptanz des Menschen angewiesen, wenn er überleben will. Oberösterreichs Bauern jedenfalls sind in Sorge. Die Wolfspräsenz wirkt sich massiv auf die Weidetierhaltung aus. 

Kärnten und Tirol

Auf der Suche nach Lösungen wurde die Landespolitik in Kärnten aktiv – und Tirol zieht nach. Seit gut einem Jahr gilt die Wolfsverordnung. Kommt ein Wolf einem bewohnten Gebiet zu nahe (unter 200 Meter), ist es Jägern und Jägerinnen für vier Wochen erlaubt, im Radius von zehn Kilometern das Raubtier zu erlegen („Risikowolf“).

Dasselbe gilt für Wölfe, die eine bestimmte Zahl von Nutztieren „nachweislich“ gerissen haben („Schad-
wölfe“). Ab Jänner 2022 wurden an die 40 Abschussfreigaben erteilt.

Kurz nach Redaktionsschluss erreichte uns eine Einladung zur Pressekonferenz der zuständigen OÖ Landesrätin Michaela Langer-Weninger. Thema: Sicherheit durch 4-Maßnahmen-Paket.

Alle Infos dazu: 

www.michaela-langer-weninger.at


„Die Mehraufwände sind nicht zu stemmen“, Johann Feßl ist Obmann des Vereins „Alm und Weide“ in Oberösterreich. Die gehäuften Wolfssichtungen und welche Probleme sich daraus ergeben, erläutert er im folgenden Interview:

Johann Feßl, Obmann des OÖ. Vereins „Alm und Weide“ © Birgit Brunnsteiner
Bald werden die Tiere wieder auf Almen und Weiden getrieben. Wie ist die Stimmung unter den Bauern derzeit?

In den letzten Wochen sind immer wieder Meldungen von Wolfssichtungen eingegangen und es gibt bereits bestätigte Risse, so wie in den vergangenen zwei Jahren. Mir bereitet vor allem Sorge, dass die Dunkelziffer wesentlich höher ist.

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Was schmerzt Sie an der Haltung von Tierschutzaktivisten?

Die Abwägung. Dass viele Naturschützer das Leid der gerissenen und schwer verletzten Tiere nicht sehen bzw. nicht sehen müssen, wir jedoch schon! Wir sind Almbauern aus Überzeugung. Die natürliche Haltung und das Gras, das unsere Kühe, Schafe, Ziegen und Pferde in den Berggegenden fressen, bringen nicht nur die beste Qualität, sondern schaffen auch die Grundlage für eine enorme Artenvielfalt.  Jeder will Bio-Milch und -Butter, überlegt aber nicht, was die extensive Weidehaltung in Zeiten der zunehmenden Wolfsbedrohung bedeutet. Es heißt, wenn ein Wolf ein Kalb reißt, gibt es eine Entschädigung – und für viele ist es damit getan. Für mich ist es traurig, wie kaltschnäuzig über dieses Leid hinweggegangen wird. Gerade von Tierschützern ist es befremdlich.

Sind Zäune und Herdenschutzhunde keine Option?

Zäune sind auf unseren Almen aufgrund der örtlichen Gegebenheiten – steiles, unwegsames Gelände – nicht möglich.  Herdenschutzhunde wären nur bei Schafen ein Thema, da aber praktisch jede Alm für den Tourismus zugänglich ist, wären Konflikte beim Zusammentreffen von Wanderern und Haustieren mit Herdenschutzhunden unausweichlich und mit großen Gefahren verbunden. Durch die Etablierung der Wolfspopulation in Oberösterreich bleiben viele Schafe, ebenso Ziegen, seit der jüngsten Vergangenheit zu Hause und werden nicht mehr artgerecht gealpt. Die Gefahren und erheblichen Mehraufwände sind einfach nicht zu stemmen.

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