Ein Hoch auf die krumme Gurke

Text: Denise Derflinger

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Wir essen Pilze und Jackfruit statt Fleisch, kochen auf Hauben-Niveau in der eigenen Küche, folgen YouTuberInnen, die uns wöchentlich in ihre digitalen Kochschulen mitnehmen. Wir besuchen Street-Food-Festivals, begeben uns mit Kräuterkennern auf eine abenteuerliche Suche nach aphrodisierenden Schätzen aus der Natur, mieten uns Olivenbäume in Griechenland. Wir probieren Insektenburger im urbanen, Kimchi im veganen, noch nie Dagewesenes im gutbürgerlichen Restaurant. Schlicht: wir rücken seit Jahren einmal mehr das Lieblingsthema der Erdenbewohner in den vibrierenden Mittelpunkt, das Essen. Ein Streifzug durch eine kulinarische Wunderwelt.

Der Mensch ist, was er isst. Dieser altbekannte Satz nimmt heutzutage immer mehr an Bedeutung zu. Denn unsere Esskultur ist im Wandel, Essen bedeutet bereits viel mehr als einfache Nahrungsmittelaufnahme. Wir treffen bewusst Entscheidungen darüber, was wir essen wollen, wie wir es essen wollen und woher das Gegessene kommt. Dabei gehen wir nach persönlichen Geschmacksnerven, aber auch nach Trends, die uns Jahr für Jahr aufs Neue zu den Lebensmittel-Heiligtümern im Schlaraffenland führen. Oder auch nicht. Food-Trends sind nicht erst von unserer Generation hausgemacht. Die gab´s schon immer, kamen, gingen, blieben und wurden im genussvollsten Fall fixer Bestandteil unserer heutigen Ernährungsgewohnheiten. Sie haben in letzter Zeit recht häufig von Fermentieren und Einmachen gehört? Schon die Römer haben sich in der Antike ihre ganz eigene Delikatesse hergestellt: Man stelle sich ein Becken voll verfaulender Fische samt Eingeweiden unter der prallen Sonne vor. Die nach Monaten und nach der Fermentation daraus gewonnene Flüssigkeit, das Garum, war die wohl beliebteste Gewürzsauce dieser Zeit. 

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Heute schon eine Kuh adoptiert?

Es läutet an der Türe. Davor: eine Kiste, zwei, drei. Die Avocados kommen aus Spanien, die Bio-Bitterorangen aus Italien, ein Stück vom Comté-Käse aus Frankreich. Einfach in den Supermarkt gehen spielt´s nicht mehr für den Genießer von heute. Vielmehr adoptiert er Obstbäume, Reisfelder und sogar eine ganze Kuh, die Produkte „seines“ Besitzes bekommt er, wenn die Zeit sprichwörtlich reif ist. CrowdFarming heißt das Projekt, das damit wirbt, saisonale Produkte ohne Umwege über einen Zwischenhändler an Mann und Frau zu bringen und nachhaltige sowie sozial faire Landwirtschaft in Europa zu fördern. Bereits 394.211 Bäume wurden mit Stand Oktober 2022 adoptiert und damit 256 Bauern und Bäuerinnen in acht Ländern unterstützt. 

Kreativ in Zeiten der Lebensmittelverschwendung

Auch die heimischen LandwirtInnen wissen, wie man Gemüse mit Recht und Schweiß zu verdientem Geld macht und dem Lebensmittelverschwendungs-Wahnsinn mit kreativen Ideen gegenwirkt. Immerhin landen laut Statistik ein Drittel aller Lebensmittel im Müll. Die Bio-Kisterl diverser Anbieter sind nicht erst seit Corona in aller Munde, sondern hatten ihre Berechtigung schon lange vorher. Ob BioFerdl, Biohof Achleitner oder einfach „Die Gemüsekiste“ – wer frisches, knackiges Gemüse und Obst im Monats-Abo bis vor die Haustüre gestellt bekommen möchte, wird mit den Kisterln der heimischer Bauern glücklich. Noch einen Schritt weiter geht das Linzer Start-up afreshed, das sich Anfang des Jahres sogar einen Deal beim TV-Format „2Minuten2Millionen“ holen konnte. Die Mission? Lebensmittel, die nicht „schön“ genug für den Handel sind, vor dem Verderben retten und in sogenannten Retterboxen an Kunden versenden. Über zu Kleines, zu Großes, zu Dickes, zu Dünnes, zu Vieles freuen sich auch die Diesenreiters aus Wien. Mit ihrem Unternehmen „Unverschwendet“ konnten sie bereits tonnenweise Obst und Gemüse retten, das seitdem, eingekocht und eingeweckt, als Konfitüre, Sirup, Gelee, Aufstrich und mehr über die Tresen diverser Läden und Gastrobetriebe geht. Und wer im städtischen Bereich immer öfter braune Papiersackerl mit dem Too-Good-To-Go-Logo entdeckt, darf vielleicht sogar kurz ein bisserl neidisch werden: immerhin haben der TrägerIn per App eines der heißbegehrten Angebote erwischt. Laut eigenen Aussagen kooperiert das dänische Unternehmen mit mehr als 6.100 Betrieben und hat 1,4 Millionen NutzerInnen.

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Delikatessenläden im Concept-Store-Format

Auf der einen Seite wird also gerettet, was das Zeug hält. Auf der anderen Seite lassen es sich die ÖsterreicherInnen ganz schön was kosten, wenn´s um lukullische Besonderheiten und Delikatessen geht. Der Trend zieht sich durch: in speziellen Läden mit Feinem aus aller Welt kann nicht nur gekauft, sondern auch gleich genossen werden. Da gibt´s zwischen aufgetürmten Weinflaschen Tapas, Gläsern mit fermentiertem Inhalt ein Flusskrebssüppchen und neben Produkten aus Italien belegte Brötchen und eine Olivenöl-Verkostung. Überhaupt: Delikatessen-Läden sind heute mehr als nur Supermärkte fürs dickere Börserl. Sie sind die Concept Stores von morgen, ein Mekka für die ungewöhnliche, außergewöhnliche und hochwertige Kombination von Produkten, Sortiment und Marken. In Bäckereien gibt´s nicht mehr „nur“ Brot, außerdem werden im Kühlschrank neben der Theke der passende Hummus, Marmelade vom integrativen Verein, Eier, Schinken und Käse vom Bauern ums Eck und süße Kleinigkeiten aus der Manufaktur als Geschenkidee angeboten. Auffallen ist die Devise, und: den Einkauf zum Erlebnis machen.

Kaffee, Mehr als nur Heißgetränk

Stark auch der Trend, Kaffee in seinen ganzen wunderbaren Formen zu genießen: Als Aero- oder French-Press, per Handfilter aufgegossen, in der Siebträger-Maschine gebraut, im Syphon zubereitet, als Filter-Drip serviert oder gleich kalt als Cold Brew … die Möglichkeiten sind vielfältig und der Rummel um das Getränk noch größer. Heute kauft man statt im Supermarkt in eigenen Spezialläden, wo nicht nur ein großes Sortiment diverser Kaffee-Arten aus aller Welt, sondern von der Maschine über Filter bis hin zu ergonomischen Milchkännchen und anderem Zubehör angeboten werden. Teilweise ist der Laden sogar in der hauseigenen Rösterei integriert – und Fachwissen rund um die Bohnenwahl, den perfekten Milchschaum und das beste Brühergebnis bekommen Laien und Hobby-Baristas bei diversen Kaffeekursen. 

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Einkaufen in „Nachbars Garten“ 

Man kann es drehen und wenden, wie man mag, aber selbst nach monatelangem Einkaufen in modernen Ab-Hof-Konzepten wird’s einfach nicht langweilig. Immerhin: Obst und Gemüse werden saisonabhängig verkauft und garantieren so für bunte und reichlich gefüllte Teller zu jeder Jahreszeit. Selbstgemachtes aus dem Beerengarten bringt die richtige Süße, Kräuter aus dem Kräutergarten die feine Würze ins Gericht. Einkaufen beim Nachbarn, beziehungsweise beim Laden oder Standl einen Ort weiter, ist sowas von hip, nicht erst seit Corona! Denn die ÖsterreicherInnen wollen nun einmal wissen, woher ihre Lebensmittel kommen, und am besten schmeckt´s ja sowieso frisch vom Feld oder Baum – da steht die regionale Herkunft noch vor dem Bio-Siegel. Die Hofladen-Besitzer sind in letzter Zeit noch kreativer geworden: Sie stellen Hütten auf, die man durch Eingabe eines Codes, den man per App bekommt, öffnet. Sie bauen Mini-Häuschen aus Holz, in denen sich ein Sortiment findet, das einem Feinkost-Geschäft gleicht. Sie bieten nicht mehr nur Barbezahlung an – damit wurde leider sehr viel Schindluder getrieben, sogar von Obst- und Gemüseklau-Tourismus war die Rede – sondern lassen die KonsumentInnen die Ware selbst einscannen und per EC-Karte zahlen. Und im „normalen“ Hof-Geschäft, also einem mit MitarbeiterInnen, einer Café-Ecke und Produkten auch über die Grenzen des Ortes, werden oftmals noch Öko-Mode, Holzspielzeug, Kochbücher und allerlei weitere Besonderheiten angeboten. 

Gemeinsam gegen Lebensmittelverschwendung

Überall finden sie Einzug, die Läden mit Poké-Bowls, Bubble-Tea, Detox-Säften, Craft Beer und Superfoods. Doch so schnell sie gekommen sind, sind sie auch wieder weg – und machen Platz für die neuen revolutionären Lebensmittel-Trends des Jahres. Ob vegane Restaurants, die klassische Gerichte aus Österreich, Deutschland und der Schweiz gekonnt und „tierfrei“ in Szene setzen, ob Unternehmen, die nach dem „From Nose to Tail“-, also „Von der Nase bis zum Schwanz“-Prinzip das ganze Tier in all seinen Bestandteilen verkochen, ob Konsumenten, die sich auch mal nach der krummen Gurke umdrehen und endlich dazu beitragen, dass „perfektes“ Gemüse und Obst auch mal sogenannten „Wunderlingen“ weichen kann … sie alle sind verantwortlich dafür, unser Essen noch besser, noch frischer, noch lokaler, noch saisonaler zu machen – und es liegt an uns, die Chance auf ein genussreicheres Leben zu nutzen.

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