Das Risiko, vom eigenen (Ex)Partner oder männlichen Verwandten getötet zu werden, ist für Frauen in Österreich erschreckend hoch – bei der Anzahl der Femizide liegt unser Land im europäischen Vergleich im oberen Drittel. Jede dritte Frau ist von körperlicher und/oder sexueller Gewalt betroffen, der gefährlichste Ort für Frauen in Österreich ist das eigene Zuhause.
Per Definition ist ein Femizid die vorsätzliche Tötung einer Frau durch einen Mann aufgrund ihres Geschlechts bzw. aufgrund von „Verstößen“ gegen die traditionellen sozialen und patriarchalen Rollenvorstellungen. Bei Redaktionsschluss gab es in Österreich heuer bereits 17 mutmaßliche Femizide, im Jahr 2022 waren es insgesamt 28.
Wir haben mit der Bundesfrauenvorsitzenden und stellvertretenden Klubvorsitzenden der SPÖ im Parlament, Eva-Maria Holzleitner, über die Gründe für die hohe Anzahl an Frauenmorden in Österreich gesprochen, und darüber, wo der politische Wille ansetzen müsste, um Femizide zu verhindern.
Frau Holzleitner, Sie selbst haben einmal in einem Interview den Begriff von Österreich als „Land der Femizide“ geprägt. Wieso scheint gerade Österreich so ein gedeihlicher Boden für Morde an Frauen zu sein?
Vielfach fehlt die Einsicht, dass wir hierzulande tatsächlich ein Problem mit Männergewalt haben. Femizide werden immer noch viel zu oft als Einzelphänomene dargestellt. Aber auch am politischen Willen, dieses massive Problem anzugehen, mangelt es. Es gibt von der Regierung keine gesicherte Finanzierung von Frauen- und Mädchenberatungsstellen sowie von Täter- und Präventionsarbeit. Hier muss sich dringend etwas ändern.
Den häufig immer noch verharmlosend als „Beziehungsdrama“ betitelten Morden geht meist eine lange Gewaltgeschichte voraus. Wie können Frauen geschützt werden?
Bei der Hälfte der Femizide war Gewalt bereits im Vorfeld bekannt, die betroffene Frau wurde aber nicht entsprechend geschützt. Wenn eine Frau um Hilfe bittet, muss sie diese auch bekommen! Dafür braucht es dringend mehr und intensivere Sensibilisierungsprogramme für Polizei und Justiz, denn viele Frauen machen dort leider schlechte Erfahrungen.
Das „Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ – die sogenannte „Istanbul-Konvention“ wurde 2013 von Österreich ratifiziert und trat am 1. August 2014 mit der Verpflichtung zur Umsetzung in Kraft – wie ist hier der Stand der Dinge?
Die Istanbul-Konvention, die Frauen und Mädchen vor Gewalt schützen soll, ist in Österreich nach zehn Jahren immer noch nicht vollumfänglich umgesetzt. Dringend nötige Maßnahmen wurden nicht ergriffen. Das halte ich für einen Skandal – denn es scheitert angeblich am Geld. Frauen- und Opferschutzorganisationen berechneten, dass es etwa 250 Millionen Euro für effektiven Gewaltschutz brauchen würde, um die Istanbul-Konvention zu erfüllen. Während damit unzählige Frauenleben gerettet werden könnten, verteilt die Regierung aber lieber Milliarden als Steuergeschenke an Großkonzerne.
Im Juli haben Frauenministerin, Innenminister und Justizministerin eine Studie des Instituts für Konfliktforschung vorgelegt, in der die Kriminalstatistiken von 2010 bis 2020 ausgewertet wurden. Im Wesentlichen bestätigt sich, dass die meisten in diesem Zeitraum begangenen Morde an Frauen Femizide waren. Die Regierung will nun mit sogenannten „Gewaltambulanzen“ gegensteuern. Was kann man sich darunter vorstellen?
Die SPÖ fordert diese Ambulanzen schon seit langem. Die Regierung muss hier endlich ins Tun kommen und die bereits seit eineinhalb Jahren angekündigten Gewaltambulanzen tatsächlich schaffen, weil dadurch eine eindeutige Dokumentation der Gewalttaten vorliegt, wenn es zu Anzeigen und Strafverfahren kommt. Es gibt allerdings noch nicht einmal ein Konzept dazu! Wichtig wären außerdem Sofortmaßnahmen wie regelmäßige, bundesweite Hochrisikofallkonferenzen, wo ExpertInnen von Polizei und Gewaltschutz gemeinsam über das Vorgehen bei Gewaltfällen entscheiden. Braucht die betroffene Frau Polizeischutz? Reicht eine Wegweisung? Diese Fallkonferenzen finden noch zu selten statt. Auch ein ständiger Krisenstab innerhalb der Bundesregierung zum Thema Gewaltschutz sowie mehr personelle Ressourcen bei der Exekutive sind nötig, um Frauen zu schützen.
Frauen- und Mädchenberatungsstellen sind häufig die ersten Anlaufstellen für von Gewalt betroffene Frauen. Wie finanzieren sich diese Einrichtungen?
Es gibt leider keine ausreichende Basisfinanzierung für Frauen- und Mädchenberatungsstellen. Diese finanzieren sich überwiegend über Projektfinanzierungen. Das bedeutet, dass es etwa für das Personal keine langfristigen Anstellungsperspektiven gibt und somit auch keine Garantie auf eine dauerhafte, sichere Anlaufstelle für betroffene Frauen. Viele Einrichtungen kämpfen ums Überleben und sind auf Spenden angewiesen.
Sind Femizide – wie oft behauptet wird – ein „importiertes“ Problem, dem mit einem harten Migrationskurs beizukommen wäre?
Nein, Femizide sind ein Männerproblem. Patriarchale Denkmuster führen dazu, dass Männer Gewalt an Frauen ausüben. Das ist ein systemisches und strukturelles Problem, das keine nationalen oder bildungsspezifischen Grenzen kennt.
„Patriarchale Denkmuster führen dazu, dass Männer Gewalt an Frauen ausüben. Das ist ein systemisches und strukturelles Problem, das keine nationalen oder bildungsspezifischen Grenzen kennt.“
Eva-Maria Holzleitner, Bundesfrauenvorsitzende und stellvertretende Klubvorsitzende der SPÖ im Parlament
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Frauenhelpline: 0800 222 555 (24 Stunden, 7 Tage/Woche)
OÖ Krisenhilfe: 0732 2177
Telefonseelsorge: 142 (ohne Vorwahl)
Polizei: 133
Online-Beratung: www.frauenberatung-ooe.at