Weitwandern – Auf den Spuren zu sich selbst

Von Denise Derflinger

©Michael Grössinger

Nichts brauchen, nichts denken. Einen Schritt vor den anderen setzen. Reden.
Oder auch nicht. Natur, Stille, Steine, Wasser, ein Vogel, der zwitschert. Und plötzlich fühlt man sich angekommen. Bei jedem Meter, den man zurücklegt, ein bisschen mehr. Wer auf Weitwanderwegen wandelt, tut Körper, Geist und Seele etwas Gutes.

Jahr für Jahr machen sich immer mehr Menschen zu mehrtägigen Wanderungen auf. Denn spätestens seit dem massiven „Pilgerboom“ auf den Jakobswegen ist das Thema Fern- oder Weitwandern absolut gesellschaftsfähig geworden – nur ohne den religiösen Hintergrund. Das Ziel der Einen: sich sportlich zu betätigen. Das Ziel der Anderen: zu sich selbst zu finden. Und wo gelingt beides besser, als umgeben von der Schönheit unserer österreichischen Natur?!

Geschichte des Wanderns

Wir wandern, um den Kopf frei zu bekommen, um uns einen Ausgleich zum hektischen Alltag zu schaffen und weil wir es wollen. Wandern aus Freude? Unsere Vorfahren hätten sich ungläubig an den Kopf gegriffen. Bis zum Beginn des industriellen Zeitalters war Mobilität ein generellerer Luxus, den sich nur wenige leisten konnten. Der Transport von Menschen und vor allem Gütern war zeitaufwendig, teuer und mit vielen administrativen Überlegungen behaftet – und nur der privilegierten Klasse vorbehalten. Das Zufußgehen kennzeichnete den Pöbel, solle sich der doch die Füße wund gehen! Zum Spaß oder „einfach so“ wurde nicht gewandert, das kam erst parallel zur touristischen Entwicklung und mit dem Anbrechen des Eisenbahnzeitalters.

Pilgern: der Weg ist das Ziel

Das Pilgern ist quasi das Wandern für Gläubige verschiedenster Religionen – obwohl sich immer mehr Menschen auch ohne religiösen Hintergrund auf die berühmten Wanderwege begeben. Das Pilgern hat eine lange Tradition. Und auch wenn das Ziel des Weges – Orte, an denen die heiligen Vorbilder übernatürliche Mächte entfaltet haben – im Fokus steht, ist das eigentliche Abenteuer das Entdecken fremder Kulturen und Landschaften, das Kennenlernen von Gleichgesinnten und die Erkenntnis, sich selbst besser kennengelernt zu haben.

 

„Nur wo du zu Fuß warst, bist du wirklich gewesen.“
Johann Wolfgang von Goethe

Unterwegs mit leichtem Gepäck

Wer jeden Tag mehrere tausend Schritte zurücklegt, ist zwangsläufig auf möglichst leichtes Gepäck angewiesen. Jedes Gramm zu viel im Rucksack ist unnötiger Ballast, der die Schritte schwerer macht. Wer sich gleich von Anfang an nur für die wirklich wichtigen Dinge entscheidet, tut nicht nur seinem Rücken etwas Gutes, sondern hat auch fürs Leben eine wichtige Botschaft gelernt: Weniger ist meistens eben doch mehr. Denn während man zu Beginn glaubt, zurückgelassene Habseligkeiten schnell zu vermissen, offenbart sich schon bald der wahre Luxus: der des Verzichtes. Wir Menschen häufen zu oft Dinge an, die wir für unser Leben und unser Glück eigentlich gar nicht benötigen – das Weitwandern öffnet uns die Augen und lehrt uns zu unterscheiden, was im Leben man wirklich braucht. Das sind meist nur die liebsten Menschen in unserem Leben, all die kleinen Besonderheiten und das wertvollste Gut: Zeit.

Weitwandern (fast) vor der Haustüre – der Granitpilger-Wanderweg im Mühlviertel ©Verein Mühlviertler Granitland

Weitwandern in Österreich

Österreich ist ein wahres Weitwanderparadies. Die „großen Zehn“ Weitwanderwege des österreichischen Alpenvereins ermöglichen eine Wanderung quer durch mehrere Bundesländer und zeigen einem ihre zahlreichen Facetten. Durch die Tiefebenen und Weingärten Burgenlands, die saftigen Wälder Niederösterreichs, vorbei an den klaren Bergseen Tirols, kleinen Ortschaften und Kraftplätzen im ganzen Land – auf jedem Meter lässt sich pure Schönheit entdecken. Unsere Tipps für Anfänger: der Salzburger Almenweg bietet imposante Landschaftsbilder und vielfältige Aussichten auf 31 Etappen, während am Wegesrand urige Almhütten zur Einkehr einladen. Wen es in Oberösterreich quasi vor die eigene Haustüre zieht, der wandelt auf den Pfaden des Granitpilger-Wanderweges. In drei bis vier Tagesetappen legt man rund 90 Kilometer durch die südöstliche Region des Bezirkes Rohrbach zurück.

Das Dilemma mit dem Luxus

Weitwandern boomt. Nicht erst seit der Liebe zum coronabedingten Spazierengehen, sondern schon seit ein paar Jahren. Da kutschieren Reiseveranstalter die müden Fernwanderer am Abend ins schicke Hotel und moderne Wanderführer gleichen eher einem Städtetrip-Journal, das die Wege an den feinsten Adressen des Landes vorbeilenkt. So wird selbst das eigentlich puristische Weitwandern zum Lifestyle-Event, obwohl der „wahre Geist“ doch eigentlich in einem selbst liegt. Aber, Hand aufs Herz, gegen eine schöne Unterkunft am Abend und ein gesundes Frühstück am nächsten Morgen gibt ́s gar nichts einzuwenden. Denn wer weit wandert, fällt tief – und zwar ins gemütliche Bett nach einem langen Tag. Unsere Hotels und Gästehäuser bieten spannende Angebote für Fernwanderer an. Wir finden: Legitim!

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