„Wien ist anders“, und wir sind es auch. Unsere Bundeshauptstadt schafft es immer wieder, laut «Economist» zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt zu werden. Auch heuer, gefolgt von Kopenhagen, Zürich und Calgary. Für Menschen aus den Bundesländern ist diese Position nicht ganz durchschaubar, vielleicht aber auch, weil das Verhältnis der Wiener zur Provinz und umgekehrt eine oftmals spöttische ist. Wien ist eben anders – und isst auch anders.
Wer am Würstelstand «a Eitrige mit an G’schissenen, an Bugl, a Krokodü* und a 16er-Blech» bestellt, hat jedenfalls eine fette Köstlichkeit am Pappteller. Der langjährige Bürgermeister Michael Häupl weiß, was die Wiener wollen, und sie wollten ihn immerhin 24 Jahre lang. Worauf er sich verlassen konnte: „Mei Wien is net deppad“. Die Sprüche des Michael Häupl sind legendär und ortsverbunden wienerisch: „Das einzig Grüne, das ich mag, ist der Grüne Veltliner.“ Somit erscheint der Heurige so wichtig wie der Stephansdom, nur flüssiger. Falls sich also Wien von den Bundesländern unterscheiden sollte, dann unter anderem wegen der sehr differenzierten Sprache. Und der Mundl’schen Diktion einer leicht cholerischen Wesensart.
Wien ist anders und isst auch anders. Aus dem Wörterbuch für Nicht-Wiener:
Eitrige: Käsekrainer / G’schissener: süßer Senf, man kann auch „G‘spiebener“ sagen / Krokodü: Salzgurke / Bugl: Scherzerl / Brotanschnitt / 16er-Blech: Die 16 steht für den 16. Wiener Gemeindebezirk Ottakring und Blech für das Dosenmaterial. Ab 2007 führte die Brauerei einige Jahre eine Dosenbier-Marke „16er Blech“ im Sortiment.
LEBENSWERT, CHOLERISCH, UNFREUNDLICH
Für Touristen ist der Wiener Schmäh jedenfalls ein feiner Grad zwischen Humor und Beleidigung, vor allem wenn ein Falschabbieger an einer Kreuzung zu stehen kommt. „Heast, bist deppad?!“ Da verlieren sie allesamt die Contenance. Doch stopp – hat nicht die jüngste Expat-Insider-Studie ganz Österreich zum Land mit den unfreundlichsten Menschen gekürt? Das zumindest sind die Erfahrungen von ausländischen Arbeitskräften in der Alpenrepublik.
Dennoch liebt uns der Rest der Welt. Vor allem vereint uns alle die Hingabe und Liebe zur Kultur, zur Tracht, zu den Bergen und zur Ausgelassenheit in Wein- und Bierhallen. Der frühere Finanzminister Hannes Androsch ist nicht der einzige Export ins Salzkammergut. Den Adel zog es schon im 18. Jahrhundert zur Sommerfrische in die Berge, lebte dort abgehoben oder volksverbunden wie der legendäre Erzherzog Johann, der die Postmeisterstochter Anna Pöchl ehelichte.
So ähnlich ist es jetzt: Der durch den Kauf der Salinen Austria AG zum hoch angesehenen Salzkammergutler mutierte Ex-Wiener Androsch hat in Altaussee nicht nur seine Lederhose, sondern auch ein schönes Platzerl samt Villa erworben. Und so kann es sein, dass man beim Ausseer Kirtag neben dem einstigen Bundespolitiker auch auf Klaus Maria Brandauer trifft. Der Schauspielstar ist dort beheimatet und wird alljährlich auf der Fischerwiese gesichtet. Sie alle aber müssen wegrücken, wenn die Ebenseer kommen, die, wie es Brauch ist, Samstagfrüh zu Fuß von Oberösterreich übers Tote Gebirge nach Altaussee wandern, um am Sonntag unter viel Applaus einzutreffen. Die Ebenseer gehören einfach dazu.
OKTOBERFEST, EIN MASSENPHÄNOMEN
Natürlich wird auch woanders kräftigst „gefestlt“. In München beispielsweise, und in Wien. Das Münchner Oktoberfest und dessen Nachbau, die „Wiener Wiesn“, sind mit dem Kirtag in Altaussee allerdings nicht vergleichbar. Vorwiegend touristisch ausgerichtet mit Tickets und fixer Platzreservierung geht die Wiener Wiesn heuer – so Gott will – von 22. September bis 9. Oktober 2022 unter neuer Leitung und neuem Titel „Kaiser Wiesn Wien“ über die Bühne.
Das Oktoberfest in München ist eine Institution seit 1810, jedoch: „Das Dirndl entstand erst Ende des 19. Jahrhunderts“, erklärt Simone Egger von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, „und zwar als billiges Arbeitsgewand für Mägde und Bäuerinnen.“ Zum ersten Oktoberfest gab es also noch gar kein Dirndl. „Die Städter haben damals für das große Pferderennen ihre Ausgehkleidung getragen, und das war französische Mode, keine Tracht“, so die Volkskundlerin.
Erst ab den 1960-er Jahren wurde die Tracht mehr und mehr zum Massenphänomen. Dazu galt es, sich aus der NS-Umklammerung zu befreien, war doch die Lederhose in den 30-er, 40-er Jahren als deutsche „geerbte Vätertracht“ hochstilisiert worden. Diese Zeit ist vorbei und selbst der Begriff „Heimat“ taucht wieder im Wortschatz auf, gewandelt eben.
Weltweit einzigartig: der Altausseer Kirtag
„Des gibt‘s nur einmal auf der gaunzn Wöd“, sind sich die Ausseer einig, wenn sie von ihrem Kirtag sprechen. So wird er heuer nach zweijähriger Coronapause endlich sein 60-Jahr-Jubiläum nachholen können – wie immer am ersten Septemberwochenende. Erneut ist dann der ganze Ort auf den Beinen, um dem Veranstalter, der örtlichen Feuerwehr, bei der Bewirtung zu helfen.
Wie immer wird die Bergrettung den Pommes-Stand betreiben und die „Krautweiber“ tonnenweise ihr
Kraut in der Küche hobeln. Auch das alte Holzstangenzelt ist noch da – wie überhaupt es nach wie vor freien Eintritt gibt, keine Lautsprechermusik, keinen Tanzboden. Serviert werden wie immer Hendl und Bratwürstel vom Holzkohlengrill.
Von der Lederhose bis zum Dirndl: s’Gwand ist wichtig
Und natürlich rücken sie auch aus Wien wieder an, gehüllt in Gamsfrackerl mit Lamberghut, im Ausseer Dirndl, der Anna-Plochl-Tracht und vermutlich in Kitschdirndln à la Oktoberfest. Auf jeden Fall in Lederhosen, selbstverständlich. S’Gwand ist wichtig! Unerlässlich zu erwähnen, dass es im gesamten Ausseerland bis hinauf ins Innviertel und in den bayrischen Raum auch heute noch Menschen gibt, die nur zwei „Gwanda“ benutzen: eine Alltagstracht und die Festtracht für die Kirche.
Wien und die Bundesländer, eine ewig ironisierende Hassliebe. Der Begriff Heimat lässt sich eben in der Bundeshauptstadt nicht so freimütig verorten wie in den in Traditionen fest verankerten „Berglern“, die sich schon immer gewehrt haben gegen „die anderen“, um das zu erhalten, was sie haben. Was sie sind.